Stadtentwicklung Wels Zeitung

Mehr als ein Turm: New Urbanism und klassisch-traditionelle Architekur4 Min. Lesedauer

9. März 2021 3 Min. Lesedauer

Mehr als ein Turm: New Urbanism und klassisch-traditionelle Architekur4 Min. Lesedauer

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Die Initiative zum Wiederaufbau des Semmelturmes will dem KJ wieder etwas Charme zurückgeben. Doch es geht um mehr als nur einen Turm. Es geht um die Vision, die Stadt nach den Kriterien des New Urbanism und vielen Anteilen von klassisch-traditioneller Architektur zu prägen.

Nach dem 2. Weltkrieg schätzte man die verbliebene historische Bausubstanz wenig. Die Nachkriegsmoderne wollte alles hinter sich lassen und in die Zukunft blicken. Die Zukunft von damals sind oft die Schandflecke von heute. Auch wenn sich die Sicht der Bevölkerung mit dem Umgang historischer Bausubstanz geändert hat, wird bis heute historische Bausubstanz ohne Wimpernzucken abgerissen. Doch es gibt eine Gegenbewegung. Diese will nicht nur historische Gebäude erhalten, sondern auch Neubauten wieder die Möglichkeit geben, auf bewährte Formensprachen zurückzugreifen. Oft zum Ärger modernistischer Architekten, die sich vor zu viel Arbeit fürchten. Viele können die alten Fassaden gar nicht mehr gestalten.

Die Moderne ist alt geworden
Die sogenannte moderne Architektur ist bereits rund 100 Jahre alt. Architekten wie Le Corbusier oder Gropius bauten in den 20er Jahren Siedlungen, die Vorbild für jetzige weiße Schachtelbauten sind und als „neue Erfindung“ verkauft werden. In Wirklichkeit kommt die Architektur des Funktionalismus nicht mehr vom Fleck. Einfacher und schmuckloser kann man nicht mehr bauen.

New Urbanism
Neben dem funktionalistischen Baustil wollten die Schöpfer der Moderne auch die Stadtplanung neu erfinden. Weg von den stickigen Städten, hin zu parkähnlichen Siedlungen mit getrennter Nutzung. Städte teilten sich auf einmal strikt nach Nutzung auf: In einem Teil wohnte man, im anderen wurde gearbeitet. Ein anderer war für Freizeitaktivitäten und Einkaufsmöglichkeiten zuständig. Verbunden alles durch das Auto. Eine neue Stadt für einen neuen Menschen – so zumindest die Theorie. Geblieben sind herabgekommene Satellitenstädte mit verlorenen und entwurzelten Generationen, Einkaufszentren in der Peripherie und Milliardeninvestitionen in den Straßenbau, um alles zu verbinden. Attraktiv und sympathisch ist bis heute nichts davon. Nur die alten, verstaubten Innenstädte blieben für die Menschen interessant. Das geschäftige Treiben in den Gassen, die unterschiedlichen Möglichkeiten auf einem Fleck. Keine getrennte Nutzung. Fast in jedem Haus gleichzeitig Geschäfte, Büros und Wohnungen. Die Häuser direkt an der Straße nebeneinandergebaut. Das Grundprinzip des Städtebaus seit Jahrtausenden. Es blieb das einzig erfolgreiche. Das erkannten auch Architekten in den 80er-Jahren in den Vereinigten Staaten. Sie waren Fans von alten europäischen Städten und deren lebendigen und pulsierenden Innenstädten. Sie gründeten die Bewegung des New Urbanism. Ein wichtiges Werkzeug dafür ist die Blockrandbebauung und das Vermeiden von strikter Funktionstrennung, etwa nach Wohn- und Geschäftsvierteln. Auch große, „leblose“ Freiräume zwischen den Bauten, wie sie zum Beispiel bei aufgelockerten Siedlungen mit Sozialbauten geplant wurden, sollen vermieden werden. Stattdessen soll es kleinere begrünte Innenhöfe und gepflegte Parkanlagen geben.

Neuer Historismus
Der New Urbanism hat unterschiedliche Ansätze. Nicht alle Anhänger sprechen sich auch für eine klassisch-traditionelle Architektur der einzelnen Gebäude aus. Viele sind nur Fans von bewährter Städteplanung. Doch gibt es auch eine große Bewegung, die sich wieder für historistische Architektur einsetzt. Warum sollte man sich selbst Grenzen auferlegen und nicht mehr so planen wie vor den Wirren des Funktionalismus?

Semmelturm als Anfang
Die Diskussion über Rekonstruktion startete in Wels im Jahr 2018 nach dem Abriss des Greif. „Die Monatliche“ startete damals eine Kampagne für eine Wiederherstellung der in den 60ern zerstörten Fassade. Eine Umfrage zeigte, dass das auch der Wunsch der Bevölkerung war. Leider kam nur eine allzu schlechte Kompromisslösung. Nun besteht wieder eine Chance, mit dem Semmelturm dem KJ etwas alten Glanz zurückzugeben und den Anstoß für weitere Projekte zu geben.

Potsdamer Architekt zeichnet Semmelturm in neu umgebauter
Umgebung
Der 30jährige Potsdamer Pakertharan Jeyabalan wurde über die Facebook-Seite „Ja zum Semmelturm“ auf das Projekt aufmerksam und war sofort begeistert. Er zeichnete für die Initiative den frisch umgebauten KJ mit Semmelturm. Der Architekt mit Vorfahren aus Sri Lanka zeichnete schon seit der Schulzeit Stadtansichten. Das hat ihn insgesamt auch zur Architektur gebracht. Er zeichnet bestehende, zukünftige und fiktive Ansichten, Vogelperspektiven, Panoramen und vieles mehr. Er hat bereits während des Studiums Berliner und Potsdamer Bürgerinitiativen mit seinen Zeichnungen und Visualisierungen unterstützt. Durch das Internet kamen dann noch andere Initiativen hinzu. So z.B Dresden, Magdeburg und Hamburg. Das Erscheinungsbild und vor allem die Qualität unserer Städte und Dörfer ist ihm ein großes Anliegen. „Denn Architektur ist die einzige Kunstform, der sich niemand entziehen kann. Sie vermag ein lebenswertes Umfeld oder aber größte Tristesse zu schaffen“, so Jeyabalan.
Seit 2017 betreibt er nebenberuflich ein kleines Illustrationsstartup, welches sich PakiTown nennt. Über diesen Kanal erreichen ihn alle Anfragen für Rekoprojekte, urbane Aufwertungen und vieles mehr.